Einsame Gesellschaft?

Wir leben in einer Zeit, in der Individualität und Selbstverwirklichung zunehmend an oberster Stelle stehen. Scheinbar alle Türen und Tore stehen uns offen, die Digitalisierung schreitet in großen Schritten voran und wir können zu jeder Zeit mit allem und jeden in der Welt „verbunden“ sein.

Menschen sitzen miteinander im Restaurant. Das Smartphone hat seinen eigenen, festen Platz. Ein Ton, eine Mitteilung, der Blick wandert. Die Aufmerksamkeit weicht aus dem Gespräch und wir sind nicht mehr in Verbindung. Zumindest nicht mit dem Menschen, der uns gegenübersitzt.

In asiatischen Ländern werden seit einigen Jahren Roboterpuppen produziert. Diese Puppen sind durch künstliche Intelligenz gesteuert und sind verkäuflich für Menschen, die allein leben und sich einsam fühlen. Die Menschen bekommen dadurch das Gefühl von Bindung und Beziehung vermittelt. Dadurch verschwindet – zumindest kurzzeitig – das schmerzliche Gefühl von Einsamkeit.

Studien und Befragungen zufolge empfinden sich stetig mehr Menschen als einsam – unabhängig vom Alter und davon, ob sie allein oder in Partnerschaften leben. Eine kollektive Einsamkeit scheint Einzug zu halten und sich zur neuen „Volkskrankheit“ zu entwickeln. Die Singularisierung der Gesellschaft, die Anonymität in Großstädten und die häufige Beschäftigung mit digitalen Medien schaffen Distanz. Menschen ERLEBEN weniger zusammen. Die Folge: Unsicherheit im Miteinander vergrößert sich.

Ist es für uns Menschen so schwer geworden, in eine resonante Verbindung mit anderen zu treten? Ist die Angst sich zu zeigen so viel größer, als das Bedürfnis nach Bindung? Sich auf jemand anderen einzulassen – mit all seinen Facetten. Verletzbar zu sein. Schöne und weniger schöne Erlebnisse zu teilen. Ersetzt ein Roboter tatsächlich die Verbindung zu anderen Menschen? Und was sagt diese Entwicklung über eine Gesellschaft und die vorherrschenden Werte und Prioritäten aus?

Der Blick nach Asien macht mir Angst.

Es gilt als belegt, dass Einsamkeit zu schwerwiegenden körperlichen und seelischen gesundheitlichen Problemen führt und zu einer wesentlich geringeren Lebenserwartung beiträgt. Depressive Verstimmungen, Angstzustände, Schlafstörungen und Infektionskrankheiten werden begünstigt. Stabile und erfüllende Beziehungen hingegen sind einer der wesentlichsten Faktoren für unser psychisches Wohlbefinden. Sie stärken unser Selbstbewusstsein und schenken Verlässlichkeit, Sicherheit und Geborgenheit. Wir fühlen uns gesehen und verstanden, leben gesünder und stressfreier.

Ist es an der Zeit wieder näher zusammen zu rücken?
Welche Gestaltungsmöglichkeiten gibt es im Spannungsfeld INDIVIDUALITÄT und VERBUNDENHEIT? Und wie kann ein Miteinander gelebt werden, in dem der oder die Einzelne sowohl in Verbindung mit sich selbst, als auch in Verbindung mit anderen sein kann?

Fortsetzung folgt…